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>eXma schreibt Kurzgeschichten - Der Sammelthread für eure Kurzgeschichten -

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post 19 May 2006, 17:13
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2. Schein
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Punkte: 109
seit: 12.10.2005

Gotteskrieger in der Straßenbahn
Die Widrigkeiten des Öffentlichen Nahverkehrs


Ich sitze in der Straßenbahnlinie 3, die Beine angewinkelt. Die DVB läßt nicht viel Spielraum für Fußathleten. Am Fenster vorbei ziehen alte, teilweise barocke Gebäude und Menschen auf Fahrrädern, unter ihnen ebenfalls alt bis barock aussehende. Ich fühle mich gut, Kopfhörer versiegeln meine kleine Kopfwelt – allein der Sitz bleibt Verbindungsstück zum Hier und Jetzt. In dieser vermeintlich sicheren Situation, dringt ein Geruch in meine Nase ein. Ein Geruch der in Straßenbahnen unvermeidbar scheint; ein süßer schweißgebadeter Hautgeruch, gepaart mit Ausdünstungen einer größeren Menge Alkohol. Ich schaue mich um, will wissen ob ich den Verursacher ausmachen kann und durch gezieltes Umsetzen mir und meiner Nase ihren unbekümmerten Zustand wieder zurückbringen kann. Mein Plan scheitert; fast jeder Mensch in meinem Abteil erfüllt die selbst ausgedachten Kriterien eines Stinktieres. So bleibe ich sitzen und drehe mein Gesicht wieder Richtung Fenster. Jetzt erhasche ich einen Blick auf einen quadratischen, in sich verschobenen Steinbau. Das andere Elbufer ist erreicht, bald habe ich es geschafft. In großer Vorfreude spiele ich an meiner Tasche herum, laß mich ablenken, gerate schnell wieder ins Träumen zum Takt meiner Musik. Als ich das nächste Mal aufschaue, weil mich jemand an meiner Schulter berührt, schaue ich in das Gesicht einer freundlichen alten Frau. Sie riecht nicht unangenehm, sogar ein wenig nach Lavendel, deshalb lächele ich zurück. Ein törichter Fehler, wie sich nur wenige Sekunden später herausstellt. Die Lavendelfrau glaubt an Gott. Sie glaubt an Gott, doch das schlimme daran ist, dass sie offensichtlich glaubt Gott würde sie mehr mögen, wenn sie fremde Menschen in Straßenbahnen anspräche um sie von ihrem Glauben zu überzeugen. Für mich ist es zu spät so zu tun, als ob ich nicht mitbekommen hätte, dass sie mir ihre private Absolution erteilen möchte. So höre ich sie sagen, sie hätte mich vor einem Jahr schon einmal getroffen und nun wäre es Zeit, mir einen Brief zu geben. Als ich das gefaltete A4-Blatt aufklappe bin ich verwirrt: Woher weiß die Lavendelfrau, dass Gott nach mir auf der Suche ist und, noch erstaunlicher, er sich danach sehnt mir seine Liebe zu schenken? Und riecht sie nicht eher nach verblühten Veilchen als nach Lavendel? Ich lehne höflich ab, wünsche ihr einen schönen Tag und sehe wie sie sich an einen anderen wehrlos nach unten schauenden Fahrgast heranpirscht. Ein ganz klein wenig hoffe ich dass dieser Fahrgast furchtbar stinkt.

Dieser Beitrag wurde von the cat empire: 16 Jun 2006, 09:53 bearbeitet
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Antworten(150 - 164)
post 01 Feb 2007, 21:11
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1. Schein
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Punkte: 42
seit: 10.06.2006

... bis zum nächsten Mal ...

Dieser Beitrag wurde von zorronte: 16 May 2009, 02:35 bearbeitet
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post 01 Feb 2007, 21:42
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2. Schein
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Punkte: 109
seit: 12.10.2005

Ich hab ein Dejavú.

Ich hab ein Dejavú.
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post 01 Feb 2007, 21:56
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1. Schein
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Punkte: 42
seit: 10.06.2006


Ja ist das denn ein gutes Zeichen? biggrin.gif

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post 02 Feb 2007, 15:11
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Zirpende Grille
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Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Und ich hab irgendwie das Gefühl, als ob diese Geschichte eine ganz besondere wäre. Sie ist anders als deine vorherigen. Diese Melancholie kenn ich von dir gar nicht.


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Es ist kein Narr der Possen reißt und auch kein Narr der Unsinn spricht.
Der wahre Narr ist der, der meist nur staunt und blinden Glaubens ist.
Eichenschild
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post 12 Feb 2007, 21:01
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zellulär
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Punkte: 4582
seit: 31.05.2006

So mal wieder was neues von mir...

Is mir gestern Nacht eingefallen, als ich mal wieder die Sache mit den Geistis und den Ings gelesen habe...

Der Schatzmeister

Ich schreckte auf, als die Tür meines Arbeitszimmers lautstark zufiel. Der Luftzug, der durch den Raum zog, löschte die hinter mir stehenden Kerzen und fegte meine letzten Aufzeichnungen hinweg. Ich hatte sie beiseite gelegt, da ich an diesem Abend sowieso keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Vielleicht war es das Signal weiter zu machen, aber ich konnte nicht. Immer nur Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen. Manchmal bereute ich es schon etwas, die Schätze und Steuern des Grafen zu verwalten. Es gäbe doch so viele schöne Dinge zu tun!
Mir wurde etwas kalt. Also beschloss ich, die Kerzen wieder zu entzünden und das Fenster zu schließen. Zum Glück brannte meine Schusterlampe auf dem alten Schreibtisch noch. Ich nahm aus dem Schubfach eines der dünnen Holzstöckchen, die ich für solche Fälle gesammelt hatte, und entzündete es an der Flamme. Dann stand ich das erste Mal seit einigen Stunden auf, um die sechs Kerzen zu entzünden, die in dem großen Ständer neben der Tür standen. Als ich ihn betrachtete, fiel mir wieder einmal auf, wie lange ich schon hier war und jeden Tag das Gleiche tat. An den alten schwarzen Eisenstangen rann schon seit Jahren das heiße Wachs hinab und formte merkwürdige Figuren, die sich hin und wieder auf den Dielenbrettern wiederfanden. Ich war an diesem Tage bedrückt, denn alles stand still.
Die neu entfachten Flammen flackerten ein wenig im sanften Luftzug, der mich daran erinnerte das Fenster zu schließen. Meine Blicke schweiften durch mein Reich, gebaut aus Zahlen, Akten und Papier, aus Schicksalen, die in eine Nummer umgerechnet worden waren und am Ende durch das Gold gewichtet wurden, welches sie Jahr um Jahr zahlten.
Das Glas fühlte sich kalt an, als ich es berührte. Gerade als ich die schweren Rahmen mit ihren kunstvoll gestalteten Bleigläsern schließen wollte, hörte ich etwas. Es war wie ein Streicheln über meine Seele. Jemand sang mit einer gläsernen Stimme, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. Mein Atem schlug sich auf der Scheibe nieder und mir war in meinem weißen Hemd doch etwas kalt, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich bemerkte, wie ich mich langsam mit dem Kopf an den linken offenen Fensterflügel lehnte. Mein Herz schlug schnell und meine Hand berührte mit der ganzen Fläche die kalte Scheibe, an der ich lehnte.
Komisch, ich hatte mich noch nie zuvor für Musik und ähnliches begeistern können. Mir war es stets ein Graus gewesen, wenn mein Fürst ein paar Spielleute einlud und ich aus reinem Pflichtbewusstsein jedes Mal klatschte, wenn er es tat, jedes Mal lachte, wenn er es tat und von der großartigen Darbietung schwärmte, wenn er es tat. Aber was war jetzt mit mir los?
Konnte nicht denken, konnte nicht sprechen, konnte mich nicht bewegen. Nichts hatte mich bis jetzt so getroffen. Diese liebliche Stimme in der Kulisse perfekter Stille der Nacht. Das Mondlicht tauchte die Landschaft rund um das Schloss in weißes Licht und Klarheit. Das hätte Stunden so gehen können, doch plötzlich kam die Stimme näher und wurde lauter. Ich atmete schnell, meine Hand rutschte langsam an der Glasscheibe hinunter und hinterließ fünf Linien auf dem beschlagenen Glas. Und da war meine Stimme: ein zauberhaftes Wesen spazierte langsam den Weg zum Schloss hinauf. Ich war wie gefroren und konnte meine Blicke nicht von ihr lösen. Gekleidet in ein langes weißes Leinenkleid und mit einer Kapuze über dem Kopf kam es immer näher, Schritt für Schritt.

Es traf mich wie ein Schlag. Als dieses Wesen so weit herangekommen war, dass ich es endlich ganz genau erkennen konnte, blieb es stehen und blickte sich um, dabei hielt es seine Kapuze mit der rechten Hand am unteren Ende zusammen. Plötzlich verstummte das Lied: Sie sah mich an. In ihren klaren, großen Augen sah ich den Schreck, den ich ihr eingejagt hatte. Sie sah mich an, der Moment wirkte für mich wie eine Ewigkeit, dann wandte sie sich ab und rannte fort.
Ich wusste nicht, wie mir geschah und -wie automatisch- stürzte ich zu meinem Schreibtisch, nahm meinen Mantel, den ich am frühen Abend einfach über die Lehne meines Stuhls gelegt hatte und warf ihn mir über. So schnell wie an diesem Tag war ich, so glaube ich, die Stufen der schmalen Treppe, die im Schein der wenigen Kerzen gelblich wirkte, noch nie hinunter gerannt. Ich hatte gut damit zu tun meinen großen Lederhut auf dem Kopf zu behalten. Die Frage der Magd, die wissen wollte, wo in Gottes Namen ich um diese Zeit hin wolle, ignorierte ich und stieß so schnell ich konnte die große Eingangstür auf.
Zu meiner Bestürzung stellte ich, als ich den Eingang verlassen hatte, fest, dass ich mich im Hof des Gebäudes befand und nicht auf der dem Wald zugewandten Seite. Also rannte ich weiter, so schnell meine Füße mich trugen.
Doch ich kam zu spät. Ich rannte fast zwei Stunden quer durch den Wald, der das Schloss umgab. Schließlich rutschte ich erschöpft an einem Baum hinunter und blieb dort sitzen, um nachzudenken. Nie hatte es etwas auf dieser Welt geschafft mich so in seinen Bann zu ziehen und jetzt hatte ich keine Möglichkeit es wieder zu sehen. Egal, was ich auch tun würde, da ich nichts über sie wusste, außer wie ihre Stimme klang, würde ich sie wohl nie wieder sehen.
Meine Blicke streiften durch die Wipfel der Bäume, die im Mondlicht wie lebendig wirkten und Trauer überkam mich. Während die Äste sich in der Kühle der Nacht wiegten, wie sie es jede Nacht taten, dachte ich daran, wie ich am nächsten Tag wieder die Akten ordnen würde, wie ich es immer tat. Für einen Moment war ich glücklich gewesen, doch ich konnte diesen Moment nicht festhalten.
Seit jenem Tag stehe ich jede Nacht am geöffneten Fenster, warte darauf, dass sie kommt mich glücklich zu machen und bin jede Nacht aufs Neue gewiss, dass sie nicht kommen wird. Das geht nun schon viele Jahre so, und noch immer stehe ich hier am Fenster.
Vielleicht kommt sie ja heute.


--------------------
onkelroman: schbring welsche mit
Subkulturaner: schweß
onkelroman: wöhärdn? ^^
Subkulturaner: fäschkeidn^^


iggi was here!
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post 12 Feb 2007, 21:17
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Phasenprüfer
******

Punkte: 869
seit: 01.11.2005

geile geschichte!


--------------------
die größe eines selbst, zeigt sich in der akzeptanz der anderen!


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post 12 Feb 2007, 23:14
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1. Schein
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Punkte: 42
seit: 10.06.2006

... bis zum nächsten Mal ...

Dieser Beitrag wurde von zorronte: 16 May 2009, 02:36 bearbeitet
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post 13 Feb 2007, 01:06
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Zirpende Grille
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Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Subkulturaner, deine Geschichte hat mir sehr gefallen und mich an ein Lied von Schandmaul erinnert.
Refrain aus Schandmaul - Lichtblick:
"Es war nur der Moment,
der Augenblick,
dann war's vorbei,
ich ließ sie zieh'n,
und ich werde sie nie
wieder seh'n!"

zorronte, deine geschichte hat mir auch sehr gefallen, wenngleich ich heute abend, zu fortgeschrittener stunde, die letzten zeilen nicht ganz entwirren kann. was genau meinst du mit den letzten drei sätzen?
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post 13 Feb 2007, 01:17
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1. Schein
*

Punkte: 42
seit: 10.06.2006

Hallo sQeedy,

der junge Mann, der durch einen Fahrradunfall ab der Hüfte gelähmt ist, hat eine Tochter. Doch ist er zeugungsunfähig und kann somit seiner Tochter kein Geschwisterkind schenken. Auch sind es körperliche Einschränkungen, die die Erziehung seiner Tochter verhindern. Er vertraut - aus Liebe und Egoismus - seine Tochter dem Bruder an.

Einen schönen Abend wünsche ich Dir noch.
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post 13 Feb 2007, 01:28
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Zirpende Grille
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Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Danke. :-)
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post 19 Feb 2007, 22:15
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1. Schein
*

Punkte: 42
seit: 10.06.2006

Wie ich die Rehe fing …

Immer wenn im Sommer, kurz nach einem Regen und noch vor der
Mittagszeit, die Blätter der Mohn- und Kornblumen auf den Wiesen ein
Perlenkleid tragen und man die Regentropfen mit etwas anderen verwechselt,
da sich das Licht in alle Farben zerbricht, und ich mit meinen viel zu großen
Gummistiefeln durch den Matsch der Wiese stapfe, die Gräser und Halme an
meinen nackten Knien kitzeln, dann denken die Diamanten, sie seien aus Glas.
Mit großen Schritten und die Milchkanne schwenkend bin ich der Prinz im
grünen Felde. Manchmal knackt es unter meinen Sohlen, erschrocken bleibe
ich dann stehen und bin erfreut, wenn nur ein Ast und nicht das Schneckenhaus
brach. Wie jeden Sonntag, wenn die Kühe gemolken sind und ich die frische
Milch zum Opa bringe, laufe ich vorbei an den Gartenzäunen, stiefle über die
weite Wiese und komme vorbei an der Futterkrippe, die in dem kleinen
Waldstück vor Opas Haus steht und an der die zwei scheuen Rehe immer
Reißaus nehmen, wenn sie das Knacken der Schneckenhäuser hören.

Doch heute bin ich in Sorge. Trotz meines kindlichen Treibens ist es keine Flucht,
die ich erblicke. Verstört und traurig stehen Reh und Reh am Wassertrog, wackeln
mit den Ohren und halten verunsichert ihre kleinen Köpfe an den Rand des Trogs,
um sie kurz darauf wieder abzuwenden. Nun bin auch ich betrübt. Vorsichtig stelle
ich die Milchkanne auf den Boden. Zärtlich und auf Zehenspitzen wage ich einen
Schritt nach dem Anderen, bis ich ganz dicht neben den Rehen stehe und meine
Nasenspitze in das stinkende Fell drücke. Mit beiden Händen streichle ich Reh
und Reh. Heiter fragte ich, was sie denn hätten und ob es ihnen nicht gut ginge.
Mit Freude zeige ich ihnen die Glasmurmeln, die ich immer in meiner linken
Hosentasche bei mir trage. Doch auch diese Perlen können ihr Herz nicht erfreuen.
Sie sagen mir, dass sie Durst haben und das Wasser aus dem Trog nicht trinken können,
da es sauer und bitter schmecke.

Ich erzähle ihnen von dem Unglück, welches vor wenigen Tagen und viele tausend
Kilometer westlich von hier geschah. Dort, in einem Land, in dem die Menschen
russisch sprechen, hat ein großer schwarzer Pilz den Himmel verdunkelt. Mit seinen
schrecklich großen Armen hat er die Sonne erdrückt. Das Leben vieler Lebewesen
verschlang er und mit seinem Atem verdarb er den Regen. Fragend rollen die Rehe
mit den Augen, doch hole ich schnell die Milchkanne und schwenke sie mit beiden
Armen vor ihren Augen hin und her. Mit der Hand schöpfe ich Milch aus der Kanne
und lade die Beiden zum Trinken ein. Zuckersüß, wenn ihr so Milch aus meiner Hand
trinkt, mit der Nasenspitze immer zuerst an den Fingern riecht und eure Zunge, bei
der ich mir ein Lächeln nicht verkneifen kann, viel rauer als die Unsere ist, dann
weiß ich, dass Opa mir die leere Milchkanne verzeihen wird.





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post 28 Aug 2007, 00:31
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Neuling


Punkte: 1
seit: 28.08.2007

Einbahnstraße: Exit


Was, wenn die Welt auf einmal wieder in Ordnung wäre? Auf einmal, als hätte sie ewig nur darauf gewartet, aus ihrem Schneckenhäuschen zu kriechen und zu schreien: „Was denn? Ist doch alles wunderbar!“ Und der einzige Grund dafür ist das Loslassen, das Geschehenlassen von Dingen, die vor Kurzem unvorstellbar und doch schon genauso einfach gewesen wären. Stehe ich mir eigentlich absichtlich ständig im Weg rum oder passiert das immer nur zufällig? Aber was kümmert das jetzt noch? Ich bin diesmal einfach schneller gewesen als meine Bedenken. Oder ich habe sie über Bord geworfen, jetzt, da ich auf hoher See in den Wellen treibe und nicht einmal das Gefühl des Ertrinkens spüre. Und selbst wenn es da wäre, es würde sich wie ein warmes Bad anfühlen. Ich bin verliebt. V.e.r.l.i.e.b.t. Das Gefühl, das ich bis vor ein paar Jahren jedem halbwegs annehmbaren Menschen hinterhergeworfen habe und von dem ich glaubte, es würde jetzt nicht mehr zu mir zurückkehren. Es hat sich einfach vor mich hingestellt und gesagt: „Ich will wieder bei dir sein!“ Das geschah keine Sekunde zu zeitig, fast geschah es zu spät. Noch oft hätte ich mich in Situationen verrannt, in denen ich so verloren gewesen wäre wie ein kleines Paddelboot auf dem Ozean. Die Paddel von der letzten Welle fortgespült und verzweifelt gewillt, irgendwo anzukommen. An einem Ort, an dem es mir in meinem Traum so gut gefiel, dass jede noch so originalgetreue Kopie eine große Enttäuschung gewesen wäre. Aber jetzt lasse ich mich einfach treiben. Denn nur das Treibenlassen lässt Raum für stürmisches Fühlen. Nicht wissen, wohin das Ganze führt, aber überhaupt nicht daran zweifeln, dass es die richtige Richtung ist. Und selbst wenn es die falsche Richtung sein sollte, ist es der Weg aus der Einbahnstraße, der Gefühlsleere meiner Welt. Kalte Steine gegen brennende Erde. Alles gegen das Halbherzige. Wenn ich jetzt melancholische Lieder höre, denke ich an etwas schönes, an die Zukunft und manchmal auch an das tieftraurige Gefühl, dass noch vor kurzem in mir lebte und wucherte, ständig größer zu werden schien und drohte, mich aufzufressen. Aber jetzt fühlt es sich wie ein Teil meiner Vergangenheit an. Schmerz, den ich nicht missen, aber auch nie wieder so nah an mich ranlassen möchte. Denn mein Boot hat die Segel gesetzt! Ich fühle, egal was es ist, ich f.ü.h.l.e. wieder! Und das fühlt sich ganz fantastisch an.

angehängtes Bild

Dieser Beitrag wurde von Voltaire: 28 Aug 2007, 01:10 bearbeitet
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post 02 Jan 2008, 15:59
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Straight Esh
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Punkte: 14030
seit: 01.10.2003

Ein Frühlingswalzer

Und die Sonne ging wieder auf über dem Forst. Zart streichelte sie über das Blätterdickicht und lies es dabei noch ein bisschen grüner und saftiger aussehen als sonst. Das machte ihr Spaß. Sie spielte mit ihren Strahlen in den Tautropfen, brach sich in tausend bunte Farben, spiegelte sich und versuchte sich auf jeder Lichtung zu mogeln. Sie tanzte mit den kleinen Fliegen auf der Lichtung und die Fliegen tanzten mit ihr. Von Strahl zu Strahl, die das Blätterdach hindurchließ. Die Sonne kitzelte die Grashalme, klopft bei jeder Blume an sie zu wecken. Es war ein wunderschöner Morgen im Mai. Und langsam erwachte mit der Sonne auch der Wald. Die Feuchtigkeit, die sich über die Nacht gesammelt hatte und die noch klamm und kalt in jeder Ecke hockte zog sich zurück und hinterließ nur einen frischen Duft in der Luft. Es war noch angenehm kühl, aber überall wo die Sonne einen erwischte ergab sich die wunderbare Synthese aus kühler Luft und warmer Haut. Leise konnte man die erwachenden Geräusche des Waldes vernehmen. Ein freudiges Rascheln, Knacksen und Gezwitscher begrüßte die wohltuende Wärme auf ein neues. Und auch der Wind ließ sich nicht lange bitten. Ein leises Lüftchen spielte mit den Blättern. Raschelte einmal hier, raschelte einmal dort und wenn man ganz aufmerksam war konnte man meinen er versuche zusammen mit den Vögeln die großen Komponisten zu imitieren. Es erschien gleichwohl dass der ganze Wald seinen eigenen Walzer tanzte. Ein kleines Häschen hoppelte über eine Lichtung. Langsam und bedächtig. Anmutig und ein bisschen verspielt. Sein Fell glänzte bei jedem Schritt erneut in der Sonne. Es schnuppert hier mal an einer frisch geöffneten Blume, rupfte sich dort ein Löwenzahnblättchen aus. Das Leben war gut.

Doch plötzlich reckt es sein Köpfchen, stellt seine langen Löffel in die Höhe. Irgendwas stimmte doch nicht. Der Walzer den der Wald tanzte war irgendwie verstummt. Ach nein, das Häschen hatte sich geirrt. Die Sonne war warm wie vorher und die Fliegen tanzten über seinem Kopf. Alles war beim Alten. Und vergnügt hoppelte es weiter und reihte sich wieder in den Reigen der Tanzenden ein. Sein Herz war beschwingt. Die frische Morgenluft machte es beinnahe etwas besoffen. Alle Vorkehrungen waren getroffen. Alles war bereit. Nichts konnte schiefgehen. Es konnte einfach den Tag genießen. Und das tat es. Es tanzte über die Wiese. Es schnupperte die frischen Kräuter. Es hüpfte über Pilze und ließ sich den Abhang hinunterrollen. Es spielte Fangen mit den Fliegen. Es lag einfach nur da und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Es fühlte sich rundum mit sich im Einklang und vollends glücklich. Der Tag war schön, und so würde auch der Sommer werden, dass wusste es mit Sicherheit. Äste splitterten. Im nächsten Moment schlug der Hase einen Haken. Hierhin. Dorthin. Hierhin. Dortrüber. Ekliger Atem. Scharfe Zähne. Noch ein Haken. Haken. Haken. Bach. Haken. Baumstamm. Pilze. Haken. Schmerz im Fuß. Haken. Weg. Nur weg. Haken. Ein schmerzerfülltes Zucken. Seine Gedärme quollen aus ihm heraus. Das Blut war warm und feucht. Das Ohr, das zuvor noch so schön in der Sonne geglänzt hatte, abgerissen. "Es wäre ein so schönes Jahr geworden" dachte sich der Hase. Und die Sonne ging wieder auf über dem Forst. Wie jeden Tag streichelte sie zuerst die Blätter und lies sie noch ein bisschen grüner und saftiger aussehen als sonst. Es machte ihr Spaß. Ihr Strahlen tanzten den Walzer den der Wald einstimmte. Eine Farbenfülle, eine Freude. Vögel zwitscherten. Das Leben war gut.


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bonum agere et bonum edere,
sol delectans et matrona delectans

(Verlängere dein Leben indem du hier und hier und hier und hier klickst!)
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post 02 Jan 2008, 16:16
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(i)
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Punkte: 3098
seit: 17.12.2005

Ich hab auch vor ner Weile eine geschrieben:

Müde und verkatert von einer durchfeierten Nacht saß ein junger Mann vor seinem
Computer. Doch sein Kater kümmerte ihn kaum. Er hatte ein schwierigeres Problem.
Vor wenigen Minuten hatte er erfahren dass zwei seiner Freunde genau am selben Tag
in unterschiedlichen Städten ihren Geburtstag feiern. Er sah sich vor der
schwierigen Entscheidung einen der beiden enttäuschen zu müssen indem er nicht zu
seinem Geburtstag geht. Beide waren gute Freunde und mit beiden würde er sehr gern
einen lustigen Abend verbringen.
Nach Stunden des Grübelns und Abwägens kam ihm eine Idee. Ich sollte auf beiden
Parties gleichzeitig sein, dachte er.
Er musste versuchen sich über die Grenzen des Raumes hinwegzusetzen. Er musste
versuchen sich selbst zu teleportieren! Der Gedanke klang im ersten Moment verrückt
und vielleicht hatte er am Vortag auch einfach nur zu viel getrunken, aber er würde
es versuchen. Zwei Wochen hatte er Zeit das Teleportieren zu trainieren.

Und so schloss er seine Augen und konzentrierte sich. Zurückgelehnt in seinem
bequemen Stuhl schloss er die Augen und suchte sich zunächst einen Punkt in seinem
Zimmer auf den er sich geistig konzentrierte.
Zunächst gelang das nicht so ganz. Er hörte das Surren des Computers und spürte wie
sein Kopf heftig pulsierte. Ein leichter Schwindel überfiel ihn. Mit
zusammengebissenen Zähnen verfluchte er den Vodka den er gestern in so rauen Mengen
getrunken hatte. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt, jeder Muskel seines Körpers
war angespannt.
So saß er nun eine endlos erscheinende Zeit reglos da.
Nichts passierte.
„Natürlich“, dachte er sich „so was geht auch nur in den verrückten Geschichten
ausnüchternder Germanistikstudenten.“ Er trank noch einen Schluck Wasser, machte
seine Lieblingsmusik an und legte sich schlafen. Als die Musik ihn einhüllte und
langsam leiser wurde um schließlich in den Tiefen seines Gehörs verschwand, fiel er
in einen tiefen Schlaf.

Doch so leicht gab er nicht auf. Gleich am nächsten Tag versuchte er es wieder.
Diesmal war sein Geist vollkommen wach und so fiel es ihm leichter sich zu
konzentrieren.
Diesmal lag er auf seinem Bett und entspannte sich. Sein Kopf sollte frei werden,
sodass er sich nur auf den Punkt in seinem Zimmer konzentrieren konnte.
Nach einer Weile beherrschte nur dieser eine Punkt, es war eine Stelle auf seinem
Teppich, seinen Geist. Kein Geräusch, keine Empfindung störte seine Gedanken.
Langsam begann er sich vorzustellen jetzt an dieser Stelle auf dem Teppich zu
liegen. Er stellte sich vor wie er auf dem harten Boden lag und wie er mit den
Händen die kleinen, rauen fasern des Teppichs und die Wärme des Bodens spürte.
Auf diese Weise lag er nun in seinem Zimmer. Die Zeit verstrich, ohne dass er es
merkte. Stunden mussten nun schon vergangen sein. Der Gedanke an den Teppich war nun
schon so vertieft, dass es sich schon so anfühlte als läge er tatsächlich darauf.
Das Bett war für ihn nicht mehr weich, nein, das Bett war einfach nicht mehr
vorhanden in seinem Kopf. Es gab nur ihn auf dem Teppich.
Mittlerweile war es dunkel draußen. Der junge Mann schrak plötzlich hoch, als er
sich bewusst wurde dass er den ganzen Tag damit verbracht hatte nur auf seinem Bett
zu liegen.
Aber etwas hatte sich geändert. Er lag nicht mehr auf seinem Bett. Erstaunt stellte
er fest, dass er tatsächlich auf dem Teppich saß! Bin ich eingeschlafen? Habe ich
nur geträumt auf dem Bett zu liegen? Bin ich geschlafwandelt?

Die Tatsache dass er sich nun tatsächlich an einem anderen Ort im Raum befand war
so unglaublich dass es ihm zunächst Angst machte. Aber aus Angst wurde Begeisterung
es möglicherweise wirklich geschafft zu haben. Mit offenem Mund und einem
Gesichtsaudruck, als hätte er gerade die tollste Erfahrung seines Lebens gemacht,
stand er in seinem dunklen Zimmer.
Und er hatte die tollste Erfahrung seines Lebens gemacht. Dessen war er sich jetzt
sicher. Doch noch mal versuchte er es an diesem Tag nicht, dazu war er zu müde.

Aber der Begeisterung folgte Ernüchterung. In den nächsten Tagen, nach der Arbeit
versuchte er es noch mal, doch zunächst gelang ihm der Versuch nicht mehr. Ans
Aufgeben dachte er aber nicht und so schaffte er es am vierten Tag wieder, sich vom
Bett auf den Teppich zu teleportieren. Er trainierte weiter und konnte sich im Laufe
der Zeit immer schneller auf einen Punkt konzentrieren und sich dort hin beamen.
Immer weitere Strecken überwand er dabei.
Allerdings verriet er niemandem sein kleines Geheimnis und er musste auch aufpassen
wo er sich hinbeamte. Im Haus war es kein Problem solange niemand da war. Er beamte
sich in die Speisekammer um sich Essen zu holen, teleportierte sich direkt vom
Zimmer unter die Dusche, oder auf die Couch zum Fern sehen.
In der Stadt beamte er auf Hausdächer und in verlassene Ecken in Parks.

Endlich war der Tag der Parties gekommen und er sagte jedem der beiden Freunde er
käme zu seiner.
Um die Orte zu wechseln musste er vorgeben, sich draußen erleichtern zu gehen oder
auf dem Klo zu sitzen, was sich mit der Zeit schwierig gestaltete, weil er hin und
wieder längere Gespräche hatte, während er auf der jeweils anderen Party in
Erklärungsnot kam, wo er denn so lange gewesen sei.
Schließlich entschied er sich nicht zuletzt wegen der vielen Biere die seine Zunge
lockerten, sein kleines Geheimnis seinen engsten Freunden zu verraten. Sie hielten
es natürlich für einen Scherz. Blöde Späße waren sie von ihm gewohnt, also dachten
sie sich nichts dabei. Bis er es ihnen zeigte. Die meisten waren zunächst
schockiert, nicht nur über seine Fähigkeit sondern auch über den Anblick. Was der
junge Mann nämlich nicht wusste, war wie das Beamen überhaupt von außen aussieht.
Sein ganzer Körper verzog sich dabei für den Bruchteil einer Sekunde wie ein
Fernsehbild beim Ausschalten bevor er einfach verschwand. Ein sehr groteskes
Schauspiel.
Natürlich war er jetzt das Highlight der Party für seine Freunde und er musste das
Beamen immer wieder zeigen. Nach einigen malen wurde es auch immer anstrengender und
ihm wurde auch langsam schwindlig bei der Sache, sodass er zunächst erstmal auf
einer der Parties blieb, bis er langsam müde wurde und sich entschied ins Bett zu
gehen.
Er verabschiedete sich von der einen Party und beamte sich noch ein letztes mal zu
der zweiten um sich auch dort zu verabschieden.
Dort waren schon viele nach Hause gegangen und der kleine Rest war entweder im
Gespräch vertieft oder schon so betrunken dass ihnen beim Abschied nicht auffiel das
etwas an ihrem beamenden Freund anders war als sonst.
Als der junge Mann vor die Tür trat, sah er noch einmal in die sternklare Nacht und
atmete die kalte, erfrischende Abendluft. Er fragte sich ob er sich vielleicht auch
eines Tages in eine Raumstation beamen könnte und malte sich aus welche
fantastischen Orte auf der Welt er noch bereisen könnte, ganz ohne Geld und in
kürzester Zeit.
Auf seinem leicht verzerrten Gesicht (welches seine Angetrunken Freunde wohl nur für
eine Täuschung ob ihrer Betrunkenheit hielten) zeichnete sich ein breites,
zufriedenes Lächeln ab, bevor er die Augen schloss um sich direkt ins Bett zu
teleportieren.
Er kam niemals dort an.

Dieser Beitrag wurde von Magic_Peat: 02 Jan 2008, 16:17 bearbeitet


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Du sagst alle wolln in den Himmel. Alle wolln wie Könige agiern. Doch niemand will am Ende sterben und keiner will regiern.


Puste was here
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post 09 Jan 2008, 01:11
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2. Schein
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Punkte: 109
seit: 12.10.2005

Mein digitaler Tag


Oder warum die Realität total überbewertet wird



Heute Morgen bin ich aufgewacht und meine Gedanken drehten sich um die Probleme des Lebens. Mein Kopf verwies schmerzend auf die vorangegangene Nacht und den darin platzierten gescheiterten Versuch, das Grauen der Welt in einem Bierglas aufzulösen. Ein einziger klarer Gedanke presste sich durch meine verkaterten Gehirnwindungen: Heute belaste ich mich nicht mit der Realität, heute bastele ich mir einen Tag, ganz wie er mir gefällt. Schon lächelte mir mein Computer aufmunternd zu, als wolle er sagen: Ich heile deine Wunden! Kurz davor hatte er sich mit leiser Musik in mein Bewusstsein gedrängt – automatischer Weckdienst. Ich beschloss, an diesem Tag nicht vor die Tür zu gehen.
Der Anfang war schwierig, denn mein Kühlschrank verweigerte mir, wie üblich, jegliche Frühstücksmöglichkeit. Egal, dachte ich, und bestellte mir Kaffee und ein Stück Apfelkuchen im Café um die Ecke. Online, versteht sich. Noch vor ein paar Tagen musste ich dort auf eine servicewillige Bedienung warten, wurde mir im hastigen Vorbeigehen auf den Füßen herumgetreten und der Ausgang durch herumlümmelnde Vierbeiner versperrt. Heute klingelte es keine zehn Minuten später an meiner Wohnungstür. Zum Kuchen klickte ich mich durch sämtliche mir bekannten Onlineausgaben von Zeitungen, sehr darauf bedacht, nur die guten Nachrichten herauszufiltern. Wie viel Zeit ich da doch sparen konnte! Derart motiviert, wendete ich mich meinem Sozialleben zu. Ich chattete mit einer mir bis dahin unbekannten Person mit dem wunderschönen Namen Partygirl24 über Diskos in Darmstadt, diskutierte in verschiedenen Foren über Heißwachsenthaarung und schrieb endlich wieder E-Mails an meine alten Freunde. An die, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte und auch nicht vorhatte, dies zu ändern. Doch dann – ein klirrendes Geräusch aus dem Flur. Der Anruf meiner Freundin Thea störte mich in meiner kommunikativen Hochphase. Keine Zeit, rief ich und knallte den Hörer auf die Gabel, was ja genau genommen die dafür vorgesehene Ladestation war. Ich eilte zurück in mein Zimmer, schließlich warteten noch ein paar alte Bekannte auf die schriftliche Zusammenfassung meines Lebens.
Von draußen drang ein weiteres, diesmal dumpfes Geräusch an mein Ohr. Ein Glockenschlag? Dann war es höchste Zeit für einen Snack. Jetzt ersparte ich mir den aussichtslosen Gang in die Küche und ersurfte mir sogleich mein Mittagessen. Dazu gab es Musik vom Livestream und eine Portion Adrenalin. Ich hatte versucht, bei einer Internetauktion eine Sonnenbrille zu ersteigern. Drei, zwei, eins … und sie war weg. Na und? Ich hatte sowieso nicht vor, sie zu benutzen. Mein Zimmer war angenehm kühl, durch die schmalen Ritzen meines Rollos schafften es nur sehr wenige Sonnenstrahlen herein. Ich fühlte mich so sicher, wie schon lange nicht mehr. Den Rest des Nachmittags widmete ich mich bunten Bildern und recht eindringlichen Videos im Netz, je schräger desto erfreulicher - bloß schön realitätsfern. Ich lachte viel und laut. Wann hatte ich das letzte Mal soviel Spaß? Ich wusste es nicht mehr und es war mir schon lange egal. Denn gegen sechs war meine heile Welt perfekt eingerichtet, alle Ungerechtigkeit war verschwunden oder war von Anfang an nur ein Hirngespinst der miesepetrigen Intriganten aus der Außenwelt. Fünf Minuten davor hatte ich beschlossen, nicht mehr zu denken.
Meine neu gewonnene Geistesfreiheit machte furchtbar hungrig. Die Pizza, sonst beim dauerflirtenden Italiener erstanden, kam direkt ins Haus. Kalt und ohne Extraportion Käse. Sei’s drum, säuselte ich vor mich hin, mein Leben war innerhalb eines Tages zum Paradies geworden und ich hatte nicht vor, diesen Zustand wegen ein paar fehlender Proteine aufzugeben. Das einzig störende waren meine Freunde. Die fingen an, mir gewaltig auf die Nerven zu gehen, ich sollte rausgehen und mich amüsieren. Ja wussten die denn nicht, dass die Zukunft digital daherkommt? Das Internet hatte mir die Hoffnung zurückgegeben und mir eins klar gemacht: Die Welt ist so gut, wie man sie sieht. Und sieht man sie gar nicht ist man entweder blind oder aber der glücklichste Mensch der Welt.
Für morgen habe ich mir übrigens vorgenommen, auch auf die lästige analoge Nahrungsaufnahme zu verzichten.
ProfilPM
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