Habe vorhin diesen Artikel mit dem Titel "Bachelorstudium in der Sackgasse" gelesen.
Zentrale Aussagen sind:
1. Ziele des Bolognaprozesses weit verfehlt. 2. Abbrecherquote eher erhöht, Mobilität nicht gefördert. 3. Studierende und Professoren schlagen die Hände über dem Kopf zusammen 4. ECTS Studienpunktesystem funktioniert nicht, Leistungen sind nicht vergleichbar bzw. können nicht an andere Hochschulen mitgenommen werden. 5. Professoren, die selber jahrelang jegliche Reform abgelehnt haben, haben mit ihrer brachialen und wenig durchdachten Umsetzung des Bolognaprozesses viele Mißstände zu verantworten 6. Die Wirtschaft sieht keinen Handlungsbedarf und ist vom Erfolg der Bachelorsache überzeugt
Stimme mit den Punkten 1-5 soweit überein. Hier hat sich gar nichts verbessert und eher verschlechtert. Die Umsetzung der an sich guten Ziele ist absolut untergründig und es ist nicht nachvollziehbar, dass am ohnehin schon extrem kaputten deutschen Bildungssystem von Akademikern selber ein solch brutaler Raubbau betrieben wird. Wie blöde kann man denn sein?
Oder wie ein Teilnehmer des Forums den eher langen ersten Teil des Artikels zusammenfasste: "Es ist genauso schief gegangen, wie es Studenten und Professoren vor 5 Jahren gesagt haben."
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Dieser Beitrag wurde von Stormi: 23 Sep 2008, 11:10 bearbeitet
Die Umsetzung des Bologna-Prozesses ist in Deutschland gelaufen, wie alles in Deutschland läuft. Man lässt es die ersten 4 1/2 Jahre lang liegen und stellt dann im letzten halben Jahr fest, dass man doch etwas hätte tun müssen. Das Ergebnis ist eine überstürzte Umwandlung, bei der größtenteils nur Namen ausgetauscht werden, anstatt die Konzepte richtig einzubinden.
Die Verträge von Bologna sahen vor, dass die Studiengänge modularisiert werden, und zwar nicht so grobgranular in Bachelor und Master, sondern auf einer feineren Ebene in der ein Modul ca. 6 - 12 SWS umfasst. Diese hätten dann auch gut über das ECTSystem ausgetauscht werden können. Dieses System funktioniert auch - entgegen der Aussage des Artikels - in Studiengängen, bei denen es richtig eingeführt wurde. Hier wäre als Beispiel (in Dresden) BWL zu nennen. Dort wird schon jahrelang auf das ECTSystem aufgebaut und Studienleistungen aus dem Ausland werden ohne Probleme anerkannt.
Auch die Abbrecherquote lässt sich nur bedingt auf den Bolognaprozess schieben. In Deutschland brechen die meisten Studenten vor ihrem Vordiplom ab. Bei der Umstellung auf Bachelor wurde aber ein Pensum von Vordiplom + 2 Semester aus dem Hauptstudium angenommen. Logisch, dass daran schon alle scheitern, die auch im Vordiplom scheitern. Im Vergleich mit anderen Ländern ist in Deutschland das Bachelor-Studium zu hart. Während vielerorts Bachelor nur Grundlagenpauken (vgl. unser Abi) und ein erster Hereinschnuppern in die Fachrichtungen bedeutet, ist man in Deutschland mit seinem Bachelor nur noch einen Schritt weit von seinem Diplom entfernt. Bachelor ist ein berufsbefähigender Abschluss. Hierfür haben wir in Deutschland eigentlich die Fachhochschulen. Ein Bachelor sollte sich dementsprechend auf diesem Niveau bewegen, real bewegt er sich aber auf einem Universitätsniveau.
Mobilität - nunja, was will man sagen. Wir Deutschen sind traditionell eher ein Volk, das es nicht so ins Ausland zieht. Anrechnung des Auslandsbafögs auf das normale Bafög und Probleme mit der Anerkennung der Studienleistungen schaffen da nicht gerade Anreize ins Ausland zu gehen.
Interessant auch, dass man sich im Artikel wünscht, dass 70% - 80% mit einem Master abschließen sollen. Die Perversion besteht darin, dass schon zu Vordiplomszeiten in vielen Studiengängen mehr Studenten aufgenommen wurden, als im Hauptstudium betreubar waren. Ergebnis waren Prüfungen, die überdurchschnittlich hart waren, oder bei denen nur ein vorher festgelegter Prozentsatz bestehen konnte. Auch hier lohnt sich ein Blick auf's Ausland. Dort studieren durchschnittlich 10% aller Bachelorstudenten später auf einen Master.
Schlußendlich bleibt festzuhalten. Man hat versucht aus dem Bolognaprozess einen deutschen Alleingang zu machen (so man denn überhaupt etwas versucht hat), ohne darauf zu achten, wie der Bachelor in anderen Ländern gehandhabt wird. Ohnehin wird der Traum vom europäisch gemeinsamen Hochschulraum durch die Bildungshoheit der einzelnen deutschen Länder von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Der durchschnittliche Bachelorstudent in Deutschland geht mit einem Wissen aus seinem Bachelorabschluss hervor, das andere europäische Studenten mit ihrem Masterstudium erhalten. Der Bolognaprozess in Deutschland ist verloren außer er wird wie folgt umstrukturiert: - Abschaffung von FH und BA. - Senkung des Bachelorniveaus auf FH/BA Niveau. - Bereitstellung einiger tausend Mitarbeiter zur Erarbeitung neuer Lehrpläne. - Aufgabe der Bildungshoheit der einzelnen Länder. - Bereitstellung besserer Mobilitäts- und Studienhilfen (besseres Bafög, mehr Stipendien)
Da das alles aber utopisch ist, werden wir wohl weiter rumkrüppeln und unseren Eigenweg verteidigen. Die bessere Lösung für die deutsche Wirtschaft wäre gewesen, alles beim Alten zu lassen und lediglich das Vordiplom in Bachelor umzubenennen.