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Vollständige Version anzeigen: Poetry Slam
Pusteblumenkohl
Underground Poesie

Sofort schiessen Bilder durch den Kopf. Schwarzgekleidete Beatniks mit Baskenmützen, eine verrauchte Kellerkneipe, ein Mensch, ein zersauster Rabe, liest Texte auf einer kleinen Bühne vor. Es geht um „Das System“ und „die Revolution“. Die Beatniks schnippen zu den Schlagwörtern mit den Fingern, lassen ab und an zustimmende Slang Begriffe durch den Raum fliegen. Der Bauarbeiter, zufällig am Tresen stehend, fragt sich was die ganze Scheiße eigentlich soll, stellt sich dabei vor wie er einer von den Künstlerbräuten live auf der Bühne diesen ganzen bornierten Unfug aus dem Kopf vögelt.

Marc Smith, Ex Bauarbeiter und Literat, hatte genug von den langweiligen Lesungen, welche er besuchte. Sein Ziel war es das Publikum aktiv in die Situation mit einzubeziehen. Im Green Mill Club in Chicago veranstaltete er 1986 den ersten Poetry Slam. Der Slam, ein feuriger Stilmix aus Lesung, Party und Performance, gewann schnell eine grosse Fangemeinde. Das System war denkbar einfach. Das Publikum wählte den besten vortragenden Autoren durch Applaus, Buh Rufe und dem vereinzelten Einsatz von Obst als Wurfgeschossen.Schnell verbeitete sich dieses ungewöhnliche literarische Format über Amerika und erreichte bald darauf den europäischen Kontinent. Angefangen mit Hamburg(Slamburg),Berlin und Köln existiert seit 2001 der Poetry Slam als feste Institution auch in Dresden.

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Livelyrix Poetry Slam in der Scheune

Die Palette der dargebotenen Texte reicht dabei von Romantik bis hin zur Pornographie, von der ernsten Verzweiflung eines Franz Kafka bis hin zum irrwitzigen Humor eines Walter Moers.
Um euch dieses Ereignis näher zu bringen, wird es in diesem Thread ab morgen eine Reihe zum Thema Poetry Slam geben. Angefangen mit einem Artikel zum letzten Slam vom 24.02. bis hin zu Textproben und Interviews lokaler und deutschlandweit bekannter Teilnehmer.
bea.floh
der pusti hat heut seinen kreativen tag *neid*

aber richtig feiner text...besonders der erste absatz, der is toll biggrin.gif
beatnik is so ein cooles wort...

nach meinem ersten poetry slam kann ich nur sagen, dass ich den nächsten mit sicherheit nicht verpassen werde...lohnt sich absolut
Fuchs
Jow! Bin gespannt!
Pusteblumenkohl
Artikel von bea.floh

Poetry-Slam am 24.02. in der Scheune/Dresden
Mein erstes Mal


Was ist ein Poetry Slam?
Wer ist ein Poetry Slam?
Warum ist ein Poetry Slam?

Als allererstes Reizüberflutung. Schummriges rotes Licht im Eingangsbereich, der gutaussehende Garderobier. Die Treppe hoch, ein Becks. Und so viele Menschen. Die halbe Neustadt, mindestens.

Also los, schnell einen der Klappstühle besetzen. Die stehen in Reih und Glied vor der Bühne. Es sind viele, aber längst nicht genug. Am Ende wird der Raum nicht nur mit sitzenden, auch stehenden, hockenden (liegenden) Zuschauern prallgefüllt sein.

Spannung. Die Moderatoren lassen auf sich warten.

Endlich. Die beiden Männer betreten die Bühne. Der unglaublich lässig wirkende Stefan Seyfarth und der seine blonde Haarpracht schwingende Michael Bittner erklären den Slam-Jungfrauen die Regeln. Der Ablauf ist einfach. Und spannend.


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Stefan Seyfarth
beim Grand Slam of Saxony im Sommer 2005


Zunächst tragen die zehn Wettbewerbsteilnehmer ihre Texte vor.

Der Erste hats meist nicht leicht und darum erhalten Florian + Martin auch zweimal Applaus als sie von der Bühne gehen. Der Text, den sie erst am Nachmittag gemeinsam verfasst haben, wird mit jungenhaften Charme vorgetragen, ist aber zumindest beim ersten Hören konfus und undurchsichtig. Doch so solls wohl sein. Wirkliche Poesie versteht man nicht.

Interessant wird’s, als ein Chemnitzer Belorusse die Bühne betritt, im Arm einen Vogelkäfig, rote Brille auf der Nase. Liest Textfetzen auf Russisch und Deutsch und lässt kleine Papierflieger ins Publikum segeln. Leichte Belustigung. Den Sinn verstehen? Nöööö.
Als er fertig ist, Applaus.
Er schmeisst den Käfig auf den Boden.
Springt wie ein Wilder draufrum.
Und kickt das Teil ins Publikum.

Das ist Kunst. Selbst die Moderatoren sind ein wenig verstört.

Volker Strübing ist ein äußerst bekannter und erfolgreicher Slammer, so wird erzählt. „Könnt ihr nichtmal alle die Fresse halten“ beginnt er und heißt sein Text. Der Berliner überzeugt. Der erste Favorit.

Ins Finale können und kommen aber nur drei Poeten. Am Einlass hat jeder Besucher einen Pfennig erhalten. Mithilfe des kleinen Geldstückes wird nun für einen der Slammer gestimmt.

Frank Klötgens plastischer Text „Muckefuck“, Nora Gommringers „Liebe ist ein Scheiß“ und Mareike Schneiders Text über die beinamputierte, fette Liebessuchende bringen ihre Autoren in die Endrunde.

Jeder der drei Finalisten hat nun die Möglichkeit einen weiteren eigenen Text an Mann und Frau zu bringen und diese endgültig zu überzeugen.

Klötgen versucht dies mit einem Gedicht über den Berliner Wald. Nicht schlecht, auch die Zuschauer dürfen mal ein bisschen rumschreien.

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Frank Klötgen

Frauen sind selten in der Szene.

Nora Gommringer ist die Queen der Slammer. Die Bambergerin hat bereits zahlreiche Slams gewonnen, ist sogar von Beruf Autorin. Rundum perfekt. Wirft auch mal ihre beeindruckende Lockenpracht nach hinten und jault wie ein Wolf. Die Frau kanns, das hört und sieht man.

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Nora Gomringer (links)
mit ihrem Team
"Tha Boyz with tha Girlz in tha Back"



Aber auch Mareike Schneider aus Leipzig weiß, was sie tut. Die junge Frau kommt mit einem Bier in der Hand auf die Bühne und steckt sich während des Vortrags eine Zigarette an. Sie ist cool, genauso wie ihre Geschichte über den Polen und seinen hässlichen Hund, der aussieht wie sich die Erzählerin im Text fühlt.


Nun ist es soweit, die Zuschauer müssen ihre Entscheidung fällen.
Klötgen und seine beiden Mitstreiterinnen treten gemeinsam auf die Bühne.
Gewinnen wird, wer den lautesten und überzeugendsten Applaus erntet.

Die Zuschauer johlen und klatschen.
Alle drei waren gut.
Klötgen wird dritter. Die Entscheidung zwischen den beiden Frauen ist knapp. Zweimal möchten die Autoren den Applaus hören, am Ende gewinnt Mareike Schneider.
Sie bekommt eine Flasche Whiskey und die Anthologie zu den Poetry-Slam-Meisterschaften „Slam 2005“. Strahlend verlässt sie die Bühne.

Das war also mein erstes Mal beim Poetry Slam.
Beeindruckend. Faszinierend. Mitreissend.

Am 31.03. ist es wieder soweit. Und ich werde auf jeden Fall dabei sein.
Wer so etwas noch nie erlebt hat, sollte kommen.

Ich meine...wer will schon ewig Jungfrau bleiben?
Phidias
blink.gif

ui, schau an, na da binsch gespannt ....

hab mein kleinen, pelzigen berlinerhintern nämmich am 24. auch da hin gehieft und wurde prompt mit zwei perfekten performanzen ausser heimstadt belohnt ... nur leider wurden mein jubel und meine *kreisch*einlagen vom einheimischen publikum überboten ... biggrin.gif


aber sonst auch von mir ein fettes sh_konkret.gif für den aufruf zum slammen smile.gif
Pusteblumenkohl
hui da hat mir die bea nen richtig tollen artikel geschrieben biggrin.gif

demnächst (ein paar Fakten über die Finalisten des Abends)
Pusteblumenkohl
Kurz vorgestellt: Slammer aus Dresden
von Bea und pusteblumenkohl


Leif Greinus

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Leif Greinus (links) zusammen mit Sebastian Wolther am letzten Tag der Buchmesse

Ohne ihn läuft nichts. Seit mehr als 4 Jahren steht Leif Greinus für den Livelyrix Poetry Slam in Dresden und Leipzig.Am Anfang standen dabei zwei Namen, Sebastian und Martin Wolther. Sie organisierten 2001 den ersten Slam in Leipzig. Leif, ein Kommilitone Sebastians, war von Anfang an dabei und etablierte dieses außergewöhnliche Format schließlich auch in Dresden.
Auf die Frage wie er den Slam in Zukunft sehe, antwortet er spontan und ausführlich:
Es wird mehr Zulauf geben, dabei sind die Kapazitätsgrenzen in der Scheune bereits ausgeschöpft.Daher würde er eher dazu tendieren, den Open Air Slam auszubauen. Auch werden sich in naher Zukunft andere Bereiche im Slam Format etablieren. Dabei denkt Leif an Themenslams wie das kürzlich stattgefundene Kästner-Asphalt Event. Ohne Zweifel bringt die Zukunft aber auch wieder Ruhe. Die literarische Szene Dresdens entwickelt sich vielleicht wieder zurück zu den "ein Tisch, ein Wasserglas" Lesungen, wobei die sax-Royal Lesebühne hoffentlich ihren alternativen Charakter beibehält. Grossveranstaltungen, wie der Poetry Slam in der Scheune, können auf Dauer nicht alles sein.


Stefan Seifert

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Forstwissenschaftler sind kauzige Menschen. Im Tharandter Exil umarmen sie Bäume und fühlen sich gut dabei. Forstwissenschaftler sind keine Spätshopverkäufer. Anders dabei Stefan Seyfarth, der Moderator(MC) des Dresdner Poetry Slams. Seit 8 Jahren lebt er mittlerweile hier und ist aktiv in der Literaturszene der Stadt aktiv, will wie er selbst sagt "Die Lyrik aufrechterhalten".Als Autor widmet er sich lieber politischen als humoristischen Themen, auch wenn diese im Rahmen des Poetry Slams teilweise kontrovers aufgenommen werden. Mit diesem Konzept hat er Erfolg.
2002 gewann er den Bardinale Slam der Literaturwerkstatt Dresdens und beschloss kurz danach, zusammen mit Leif Greinus, einen regelmässigen Slam auf die Beine zu stellen. Seitdem steht er regelmässig zusammen mit Michael Bittner als Moderator auf der Bühne. Dabei strebt er dem Ziel entgegen den Slam zu erhalten und "weiterhin eine gute Show zu bieten".

Stefan zum Hören: Mp3 Download
Stefan zum Lesen:

Zitat(Stefan Seyfarth)
Inwieweit

wenn sie schon kostenlos cola verschenken,
dann ist’s an der zeit,
einfach radikal umzudenken.
nur inwieweit
sich so was verwirklichen lässt,
inwieweit so was real werden kann,
damit man in dieses verdammte konsumentennest
’n schlechtes ei legen kann
das anfängt zu stinken,
das plötzlich aufkracht,
wo alle versinken,
in einem gelbfaulen dotterschacht
der sie alle hinabreißt
in eine welt ohne fernsehn
und sich jeder in den arsch beißt
und weiß: er würde nicht hier stehn,
hätte er cola, die kostenlos
doch niemals bezogen,
dann wäre er schleimlos
und immer noch oben.
was alles zu tun ist,
um diesen schritt wirklich zu wagen?
hm, dadurch, dass man kein huhn ist,
lässt sich so was schwer sagen.





Florian und Martin


Einer musste ja der Erste sein, warum also nicht auch Zwei?

Florian, 23, aus Dresden und der zwei Jahre ältere Martin aus Chemnitz haben sich bereits vor einigen Jahren kennen gelernt und mit ein paar Gleichgesinnten 2005 die Kunstgruppe Kacherie-Kombinat gegründet. Momentan macht das Team kleinere Filme, sie können aber auch schon auf eine selbstorganisierte Ausstellung zurückblicken, auf der es unter anderem Bilder, Lesungen und Performances zu bestaunen gab. Ihre Arbeiten sind oftmals durch den Alltag inspiriert, gerne verwenden sie aber auch politisch oder gesellschaftlich relevante Inhalte.

Die beiden Studenten sind jedenfalls eine Besonderheit an diesem Poetry-Slam-Abend, da sie gemeinsam auftreten. Sie eröffnen nicht nur den Abend mit ihrem Text sondern begründen damit auch ihre Karriere als Duo. Denn die beiden wollen in der Zukunft ihre Teamarbeit vorantreiben, weiterhin gemeinsam Texte schreiben und auftreten. Ob mehr oder weniger erfolgreich, das wird sich zeigen. Mit zweifachem Applaus werden sie am 24.02. belohnt.


Der Mann mit dem Hut – Dominik


Dominik ist 33. Dominik ist erst seit einigen Wochen in Dresden. In Potsdam, wo er vorher lebte, hat ihn seine Freundin verlassen und rausgeschmissen. Dominik möchte zu diesem Poetry Slam am 24.02., er möchte aber keine 5 Euro bezahlen. Also trägt er sich in die Teilnehmerliste ein und auf der Bühne seinen Text vor.
Sein Markenzeichen ist sein grauer Hut, und auch das einzige, was von seinem Auftritt im Gedächtnis des Zuschauers hängen bleiben wird.
Dominik schreibt aber auch nicht für Publikum. Er schreibt für die Schublade, schreibt, seit er schreiben kann und immer hart am Rand. Dominik ist ein zu Lebzeiten verkannter Schriftsteller, er ist besser als sein großes Vorbild Shakespeare. Sagt er.
Dominik ist auch zutiefst religiös. Er glaubt daran, dem Augenblick Dauer zu verleihen und sich in seinen Texten fortzupflanzen.
Eigentlich ist Dominik Sänger. Im Herbst wird er dann weiter nach Italien ziehen und von dort nach Afrika übersiedeln. Und hier: Schreiben.




Nächste Woche geht es mit "Kurz vorgestellt : Bekannte deutsche Slammer" weiter.
abadd0n
Underground... Poesie... meine spontane Assoziation geht eher Richtung Alex und seine Droogs & die Devochka. Oder Richtung Charles Bukowski vielleicht noch.

Livelyrix in Dresden? Soso.. hat es immer diesen Event-Charakter oder weiß jemand Gelegenheiten, bei denen sich Slams auch nebenbei eingebaut in eine andere Veranstaltung finden lassen?
Wäre doch mal ein Plan, solch einen Slammer mitten in einem Konzert irgendeiner Band auftreten zu lassen. Oder als spntanes Happening 12oo mittags in der Mensa.

Zitat
Forstwissenschaftler sind kauzige Menschen.
Das stimmt *g*

#abd, happening-lust.ig
Pusteblumenkohl
man kann es auch als Bukowski like sehen teilweise.
Der zweite Teil des Artikels lässt leider noch auf sich warten bis mein Rechner wieder funktioniert (bzw. ich wieder irgendwie an meine Interviewnotizen komme).