Der Text ist etwas länger, aber auch hier sollte man ihn ganz lesen um zu wissen, was an der TU noch so alles passiert

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Ein Idealist übt Realpolitik
Jens Bemme gründet in Dresden die erste deutsche Studentenstiftung. Er läuft dabei offene Türen ein und rennt manchmal auch gegen Wände.
Von Karin Großmann

Wenn andere schimpfen, schimpft er noch lange nicht. Wenn andere abwarten, läuft er los. Wenn andere über scheinbar Unabänderliches die Hände ringen, beginnt er zu zweifeln. Denn es kommt noch immer auf einen Versuch an. Jens Bemme, 26, Student in Dresden, schwimmt manchmal ganz gern gegen den Strom. Damit macht man sich beliebt. Damit macht man sich unbeliebt.

Vor zwei Jahren schrieb Jens Bemme mit 46 weiteren Studenten einen offenen Brief an die sächsische Landesregierung. Sie erklärten dem sehr geehrten Herrn Ministerpräsidenten ihre Bereitschaft, eine Gebühr von 100 Euro pro Semester und Student zu zahlen. Und das ausgerechnet in dem Moment, als Tausende gegen Studiengebühren auf die Straße zogen. Es war ein Tabubruch. Ein Sakrileg. Ein Skandal. Mit Steckbriefen wurde Bemme gesucht, damit man ihn „teeren und federn“ könne. Das Konterfei des „Verräters“ hing überall auf dem Campus der Technischen Universität. Wie er sich fühlte? Wütend.

Aber im Innersten hat er wohl gelächelt, leicht süffisant, wie es Grünen-Minister Jürgen Trittin tut, wenn er Wirtschaftsmanagern seine Wahrheit als ihre verkauft. Denn der junge Mann hatte erreicht, was er wollte: eine heftige Auseinandersetzung. Diskutieren wollte er vor allem über jenen Teil des offenen Briefes, den seine Kontrahenten überlesen hatten: Die Gebühr sollte an Bedingungen geknüpft sein. Mehr Tutoren-Stellen, langfristige Hochschulplanung, bessere Ausstattung …

„Die Regierung zu beschimpfen und gleichzeitig von ihr mehr Geld zu fordern – diese Verhandlungsposition fand ich einfach armselig“, sagt Jens Bemme. Ein Idealist, der Realpolitik übt. Und der auch noch Spaß daran hat. Seine Familie prophezeit ihm sowieso, dass er die Politik mal zum Beruf machen werde. Vielleicht ist so was erblich. Bemmes Vater war Diplomat in der Schweiz, in der DDR-Zeit. Der Junge wuchs auf als Ossi in der Schweiz, später als Schweizer im Osten. Da lernt man das Schwimmen gegen den Strom ganz nebenbei. Als Schulsprecher, Klassensprecher, Studentensprecher lernt man, was Hierarchien bedeuten und wie schwer es ist, eigene Ideen durchzuboxen.

Das Bunte ist ihm sympathisch

Der Gedanke an eine Parteikarriere jedoch, sagt Jens Bemme, sei ihm völlig fremd. Jürgen Trittin sollte das freuen. Einen handzahmen Mitstreiter bekäme er gewiss nicht. Bei den Grünen ist Bemme seit dem letzten Jahr Mitglied. „Sie haben nicht bloß die Wirtschaft im Blick, sondern so etwas wie einen ganzheitlichen Politikansatz. Sie lassen unterschiedliche Lebensentwürfe zu.“ Alles Bunte, sagt Jens Bemme, ist ihm sympathisch.

Sein Gebühren-Vorschlag klingt eher nach FDP. Den Staat entlasten, mehr Verantwortung übernehmen – ein Modell, das die eigene Ausbildung mitfinanziert, passt dazu vorzüglich. Es dürfte den Liberalen und ihren Parteigängern gefallen.

Doch ungern lässt sich Jens Bemme in diese Ecke stecken. Das macht ihn ganz unglücklich, sagt er. „Als könnten ein paar hundert Euro die Finanzierungs- und die Strukturprobleme der Uni lösen! Es ist kaum ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Für andere: ein gefährlicher Anfang vom Ende staatlicher Subventionierung. Bemme schüttelt den Kopf: „Wir wollen den Staat doch nicht aus der Verantwortung entlassen.“ Er muss aber gleich drüber nachdenken, worin eigentlich die Verantwortung des Staates besteht, wie ein Hochschulstandard aussehen sollte, und wer das ist, der Staat. Ob er selber nicht dazugehört. Er sieht sich eine Sache gern von verschiedenen Seiten an.

Die aufrührerische Brief-Aktion vor zwei Jahren hatte auch ihr Gutes. Mit ein paar Gleichgesinnten war Jens Bemme losgezogen, hatte Geld gesammelt und ein Projekt gegründet: „unternehmen selbst!beteiligen“. Nicht eben ein geschmeidiger Name. Wichtiger: Das Projekt funktioniert. Mit dem Geld wurde die Öffnung der Universitätsbibliothek an sechs Sonntagen in der Prüfungszeit finanziert. Vier Semester lang klappte das schon. In diesem Jahr kamen mehr als 7 000 Leser. Die Leitung der Landes- und Universitätsbibliothek verfolgte das Projekt zunächst mit skeptischem Wohlwollen. Die Skepsis ist weg.

Rütteln am Tabu

In diesen Tagen beginnt die Sammlung freiwilliger Beiträge für die Prüfungs-Sonntage im Februar und im März. Zwei Mitarbeiter vom Wachschutz, zwei Bibliothekare und die Reinigung müssen bezahlt werden – 560 Euro kostet ein Sonntag. Das Haus steht 76 Stunden pro Woche offen und kann mehr aus eigenem Etat nicht leisten. „Das kann man empörend finden oder beschämend“, sagt Jens Bemme, „aber das würde an der Situation nichts ändern.“ Auf Änderung ist er aus. „Es macht viel mehr Spaß, etwas aufzubauen, als alles nur hinzunehmen.“

Manchmal steht er an einem solchen Sonntag an den Garderoben in der Bibliothek und bittet um den Euro, den jeder sonst nach Benutzung des Spinds selber einsteckt. Der Vorzeigeunternehmer als Bettler vom Dienst. „Eine total sensible Geschichte“, sagt Jens Bemme. Inzwischen hat er die Scheu abgelegt. Inzwischen geht es um mehr als einen Euro. Das Projekt „unternehmen selbst!beteiligen“ will eine Studentenstiftung werden, parteipolitisch unabhängig und angelegt auf Dauer. Es wäre die erste in Deutschland. Das Ziel: Exzellente Studienbedingungen in Dresden schaffen. Soziale Zugangshürden verringern. Beziehungen zwischen Uni und Einwohnern stärken.

5 000 Euro – ein guter Anfang

Das Grundkapital muss 25 000 Euro betragen. Nicht die Summe, mit der Jens Bemme, Bafög-Empfänger und WG-Bewohner, täglich zu tun hat. Höchstens in der Theorie. Als Student der Verkehrswirtschaft im elften Semester bewegt er schon mal ein paar Banknoten auf dem Papier. Dann denkt er zum Beispiel darüber nach, dass an den größten und lautesten Straßen oft die Leute mit den geringsten Einkünften wohnen – und warum das von Verkehrspolitikern kaum wahrgenommen wird. Oder er sucht nach Ursachen, weshalb der Klimaschutz in Sachsen den Gesetzen nachhinkt. „Vielleicht fehlt der politische Wille?“, fragt er. Und ist wieder beim Thema. Es muss einer nur wollen. „Man findet immer Leute, die ähnlich ticken wie man selber.“

Sogar jene, die seine Freiwilligen-Gebühr empörend fanden, können der Stiftungs-Idee etwas abgewinnen. Der Studentenrat der TU Dresden trägt sie mit. Der Förderkreis der SLUB unterstützt sie, und nicht nur platonisch: 5 000 Euro waren ein schöner Anfang. Die Dresdner Bürgerstiftung übernimmt das Verwaltungsgeschäft. Die studentische Unternehmensberatung Paul Consultants berät beim Marketing. Die Münchner Eberhard von Kuenheim Stiftung hilft motivierend mit; Jens Bemme war dort Stipendiat. „Ein Student, der sich traut, am Tabu zu rütteln; der nicht nur redet, sondern handelt“, so lobt Eberhard von Kuenheim, ehemaliger BMW-Vorstandschef, den jungen Mann.

Mit einem Stipendiensystem will die Stiftung andere anregen. Bis 1. Dezember wurde die Ausschreibung verlängert. Ideen fürs Verbessern von Studienbedingungen werden mit einem Stipendium von 100 Euro monatlich für einen Studenten belohnt. Drei Studenten haben sich beworben, drei von 30 000.

Jens Bemme und die sechs, acht Leute seiner Stiftungs-Mannschaft hatten geglaubt, es ginge alles viel schneller. Sie werben seit März um Unterstützung. Die Hälfte des Stiftungs-Grundkapitals liegt erst auf dem Konto. Es gibt Dinge, die brauchen ihre Zeit. Bemme lernt das grad von den Bäumen. Einen Acker erwerben, Buchen setzen, und dann fünfzig Jahre lang zugucken, wie der Wald wächst: Das ist sein Traum. Neulich hat er in Grillenburg einen Kettensägenkurs absolviert. Denn wenn die Buchen herangewachsen sein werden, wird man ausforsten müssen. Jens Bemme ist keiner, der es beim Träumen belässt.

Quelle: http://www.sz-online.de/nachrichten/artike...l.asp?id=719420